Schwimmmen nach Art der Fische

Zu einer ausgewogenen Medien-Diät gehört nicht nur die Wahl und die Portionsgröße der Medienernährung, sondern auch das Medienfasten, das Offline-sein. Man könnte es auch “draußen sein, ganz ohne Computer oder Smartphone” nennen. Mein Vorschlag: Total Immersion Swimming. Seit Beginn der Freibad-Saison Anfang Mai 2013 schwimme ich wie ein Fisch. Und Sie?

Seit einer Weile schleiche ich mich fast jeden Abend nach dem Abendessen noch schnell hinaus und eile zum nahegelegenen Freibad. Das hat bei jedem Wetter auf und schließt erst um 20.30 Uhr. In der kurzen Zeit schaffe ich vielleicht 600 bis 700 Meter, aber länger möchte ich auch gar nicht schwimmen. Denn ich will keine Bahnen zählen, Meter machen, sondern konzentriere mich nur auf die Technik ‒ so sorgfältig und langsam wie möglich.

Manchmal ist es nicht hilfreich, wenn man schon etwas gut kann. Für mich war das zu Beginn nicht einfach. Denn schon in frühester Jugend bin ich vier bis fünf Mal pro Woche im Becken geschwommen, pro Trainingseinheit schaffte ich etwa drei bis sechs Kilometer. An den Wochenenden standen dann die Wettkämpfe an. Ich war austrainiert, mein Schwimmstil folgte den Vorbildern von Michael Groß und später Matt Biondi.

Wer weit ist, kann schwerer umlernen

Ein eingeschliffener Schwimmstil. Genau das war nun im Weg. Denn seit Mai lerne ich das Schwimmen neu. Schuld daran war ein Buch, das ich auf dem Tisch eines Freundes fand: Total Immersion Swimming — Schwimmen nach Art der Fische. Das passte gut zu meinem anderen Sport-Projekt, das weiter fortgeschritten ist: Qi-Running.

Warum sollte man etwas Neues lernen, wenn man es schon so gut kann? Ich habe da ein Bild mit zwei Leitern im Kopf: Die eine Leiter sind wir schon hochgeklettert, daneben steht aber eine viel längere Leiter. Hinüberspringen geht nicht. Also müssen wir erst hinuntersteigen und in Kauf nehmen, dass wir langsamer, hakeliger, ungenauer werden. Es dauert eine Weile, bis man auf der anderen Leiter wieder auf der Höhe wie zuvor ist. Aber dann geht es höher, es wird besser. Bis dahin benötigt man Zeit, Geduld, eine Menge Durchhaltevermögen und Demut.

Schwimmen nach Art der Fische ‒ der Autor schreibt, dass man besser Muskeln nutzen und intelligenter als bisher schwimmen sollte, die Kraft aus der Hüfte nehmen, statt sich mit den Armen abzumühen und die Schulter zu sehr zu beanspruchen. Und das ist mein Ziel: Ich möchte auch noch im hohen Alter ganz geschmeidig durch das Wasser ziehen ‒ auch wenn man mich dann mit einem Rollstuhl an den Beckenrand schieben muss.

70 Prozent Technik, 30 Prozent Kraft

Schwimmen ist nichts für Kraftmeier. Sicher, wer viel trainiert, wird auch mit einer schlechten Technik recht schnell schwimmen, aber bald stagnieren (die Leiter ist einfach zu kurz). 70 Prozent ist Technik, nur 30 Prozent Kraft. Schließlich ist die Wasserlage und -verdrängung entscheidend: Wollen Sie mit einem schnittigen Segelboot wie ein Pfeil durch das Wasser gleiten oder auf einem hochmotorisierten Tanker behäbig unterwegs sein?

Nach einem guten Monat Total Immersion habe ich bisher folgende Punkte gelernt — jetzt kommt auch das Transferwissen für alle, die mit Schwimmen nichts am Hut haben, aber besser in ihrem Sport oder ihrer Arbeit werden wollen:

  1. Langsam und einfach anfangen: Wer zu viel will, schafft es nicht. Ein spielerischer Ansatz ohne Druck hat bei mir besser funktioniert als ein starres Trainingsprogramm. Ich habe wieder Lust am Schwimmen — weil ich mir erlaube, langsamer zu schwimmen als die Brustschwimmer-Mutti neben mir; weil ich nicht rechts und links gucke, sondern einfach nur neue Sachen ausprobiere. Ein Beispiel: Ich liege auf dem Bauch in leichter Seitenlage und bewege meinen Arm nach vorne und in einem Winkel von vielleicht 30 Grad nach unten als hätte ich einen Dolch bei mir, mit dem ich einen dicken Fisch unter mir abstechen will. Das mache ich, um mir die neue Armbewegung einzuimpfen. Und ich bin unglaublich langsam dabei. Das soll so sein und es macht mir Spaß. Selbst wenn ein Aquajogger schneller ist.

  2. Auf Details achten: Bei Tennisspielern, Golfern und Schwimmern können schon Kleinigkeiten sehr viel ausmachen. Wenn man also etwas ändert, dann darf man keinen einzigen Zug, keinen einzigen Schlag mehr mit dem alten Stil machen. Ganz oder gar nicht. Auch, wenn man für eine Weile wie ein blutiger Anfänger aussieht. Schwimmen ist ein komplexer Vorgang: Man muss auf die richtige Koordination der Arme, der Beine und des Kopfes achten ‒ und schauen, dass man genügend Luft bekommt und nicht untergeht. Wer versucht, gleich alles zu ändern, wird nie etwas schaffen.

  3. Zug für Zug: Ich habe zunächst die stabile Seitenlage geübt, dann das frühere Eintauchen der Arme, um so die Rotation der Hüften zu stützen. Nun konzentriere ich mich darauf, nach dem Eintauchen der Arme die Hände locker zu lassen und sie leicht abzuknicken als würde mir jemand die Nägel lackieren. So stelle ich mir das jedenfalls vor. Wenn das geht, dann kümmere ich mich darum, dass die Hände möglichst geschmeidig ins Wasser eintauchen und dabei keine Spritzer verursachen (ich stelle mir vor, ich würde mit meinen Händen in den Schlitz eines Briefkastens greifen. Das muss präzise sein, sonst schlitze ich mir die Hände am Metall auf).

  4. Nicht zu viel vornehmen: Es gibt in meinem Freibad einen Triathleten, der wahrscheinlich ein Radfahrer oder Läufer ist und für einen Ironman oder so trainiert. Er schwimmt nicht wie ein Schwimmer, aber er schwimmt jeden Tag einige Kilometer und weil er jeden Tag schwimmt, wird er auch besser und schneller. Er braucht für eine 50 Meter Bahn etwa 46 Züge. Mit meiner Schwimmtechnik benötige ich momentan etwa 25 Züge ohne übertriebenes Gleiten nach dem Abstoßen. Er braucht 20 Züge mehr auf einer Bahn, das kostet Kraft.

  5. Weniger ist mehr: Erst die Technik erarbeiten, dann Bahnen klotzen. Momentan versuche ich, jede Bahn wohlgeformt zu schwimmen. Nach Lehrbuch. Wenn ich müde bin, dann schwimme nicht mehr weiter, denn die Technik leidet darunter, es wird wurstig und ich fühle mich nicht mehr rund. Weil ich weiß, dass mich das Training weiterbringt, verspanne ich mich nicht dabei. Schon bald kann ich ein paar mehr Bahnen am Stück wie ein Fisch schwimmen. Und auch, wenn ich einen Kilometer oder mehr so schwimmen kann, habe ich mir vorgenommen, nach entweder einer halben Stunde oder 1.000 Meter den Pool zu verlassen. Warum? Man sollte nicht übertreiben, es soll weiter Spaß machen. Lieber öfter schwimmen gehen als einmal im Monat im Hauruckstil die Bahnen abreißen.

Im Sinne einer ausgewogenen Mediendiät klappe ich nun meinen Rechner zu und gehe schwimmen ‒ nach Art der Fische. Vielleicht sehen wir uns ja mal im Freibad Stefanshöhe in Wangen im Allgäu.