Von Binnenmajuskeln und Gender_Gaps
Liebe Leserinnen und Leser,
ich bin ein höflicher Mensch der alten Schule und deswegen nenne ich Frauen immer an erster Stelle. Vielleicht bin ich unverbesserlich altmodisch. Ich halte Frauen gerne die Tür auf. Aber ich mache das auch für Männer. Und für Kinder. Ich mag es einfach nicht, wenn jemand vor mir durch eine Tür läuft und genau weiß, dass jemand – nämlich ich – gleich hinterherkommt und die Türe trotzdem zuknallen lässt. Deswegen übe ich mich gerne in Ubuntu.
Ich sträube mich auch, in der Business-Kommunikation den höchstrangigen – viel zu oft ein Mann – als Erstes zu nennen. Frauen stehen bei mir sprachlich an erster Stelle. Ist das antiquiert oder modern?
Genderst Du schon oder trampelst Du noch sprachlich durch den Porzellanladen?
Hier in Australien tauche ich immer tiefer ab in die englische Sprache. Das ist erfrischend, denn ich muss mich nicht um das „Gendern“ kümmern. Ich weiß, dass dieses Thema schon seit vielen Jahren diskutiert wird und teilweise auch arg kompliziert und schwer nachvollziehbar erscheint. Ich gebe freimütig zu, dass ich in meinen Texten eher halbherzig gendere. Nun habe ich aber das Gefühl, dass sich das Gendern in Deutschland in Richtung „Primetime“ bewegt.
Ich lese immer mehr „gegenderte“ (schreckliches Wort) E-Mails und auch in den deutschen Podcasts wird zunehmend darauf geachtet (eine kleine Pause zwischen „Hörer“ und „innen“). Wenn die das machen, dann fordern es offenbar die Hörerinnen und Hörer – ach ja, die Hörenden?
Genderkonfusion: Wie spreche ich Dich an?
Aus der Ferne betrachtet macht es die ganze Sache komplizierter und gestelzt. Zumal ja verschiedene Schreibweisen im Umlauf sind:
- Binnenmajuskel: LeserInnen
- Gendersternchen und Genderdoppelpunkt: Leser*innen und Leser:innen
- Genderslash: Leser/innen
- Gender-Gap: Leser_innen
Ich will gar nicht auf grammatikalische Konstellationen eingehen, in der die oben genannten Formen noch sperriger werden. Für mich wirkt ein Satz wie Der*die Lehrer*in kommt in die Klasse.
eher wie ein Code-Schnipsel mit eingebauter Lesebremse. Wenn man genau hinschaut, erkennt man ja meistens recht schnell, ob es sich um eine Lehrerin oder um einen Lehrer handelt.
Geschickt gendern erfordert Übung
Klar, letztlich hilft nur ein geschicktes Umschreiben. Aber das ist umständlich und kostet Zeit. Sprachlich und visuell gefällt mir am ehesten der Binnenmajuskel, der so wie ein Hashtag (#GenderBeispiel) mit einem groß geschriebenen Teilwort daherkommt.
Wie gehe ich damit hier in meinen digitalen Notizen um? Das sind ja sowieso eilig hingeschriebene flüchtige Notizen. Ich werde weiter „duzen“ und mit fiktiven „Er“ oder „Sie“ arbeiten. Ich glaube, Frauen – und Männer – lesen weiter, wenn ich über jemanden schreibe, der – oder die – etwas erlebt, gelernt oder eine Idee hat. Vielleicht habe ich ja demnächst weitere Gender-Erkenntnisse, meine lieben Lesenden (das hört sich so passiv an) und Leseratten (oje, muss man das etwa auch gendern)?
Meine Tochter hatte heute übrigens einen ganz pragmatischen Tipp: „Schreib doch einfach Spaghettimonster…". Manchmal ist die Lösung so einfach – wenn man sie weiß.