Agil, flexibel und spontan?

Wenn ich in der deutschen Sprache das Wort „agil“ benutze, dann sehe ich vor mir einen Kletterer, der versucht eine steile Wand hochzuklettern. Ich sehe eine Frau mit einem langen Stab auf einem Drahtseil, das über eine tiefe Schlucht gespannt ist. Und vor meinem inneren Auge sehe ich einen Mountainbike-Fahrer, der eine steile Abfahrt mit engen Wegen, spitzen Steinen und kantigen Wurzeln herunterrast.

Wenn ich an das A-Wort denke, dann denke ich an Menschen, die ein Ziel haben. Der Weg dorthin ist gespickt mit Ungewissheit und unbekannten Herausforderungen; meine agilen Menschen strahlen Neugier, Abenteuerlust und Lebensfreude aus. Sie lösen Spannung spielerisch und ohne Hektik auf.

Ich kenne Menschen, die haben ein anderes Verständnis von „agil“. Für sie bedeutet es „flexibel“. Sie sehen es so: Wer agil ist, muss auch flexibel sein, weil man sich ja auf die unbekannte Zukunft nicht vorbereiten kann, sondern hier im Jetzt immer alles neu und anders ist. Darauf muss man sich agil einstellen, also flexibel sein, oder?

Klar, zur Agilität gehört Flexibilität. Ohne sie geht es nicht. Wenn man nicht weiter kommt, dann muss man flexibel genug sein, um den eingeschlagenen Weg zu verlassen und etwas Neues zu probieren, also flexibel sein. Doch für mich hat das Wort einen unangenehmen Beigeschmack.

Manchmal wird von höchster Stelle Flexibilität angeordnet. „Wir müssen das schneller machen, uns mit weniger begnügen, seid einfach flexibel!“. Dahinter versteckt sich ein oft fauler Kompromiss. Der Kletterer soll flexibel sein und nicht bis nach oben klettern; die Drahtseilakrobatin flexibel sein und sich von einem Hubschrauber abholen lassen und der Mountainbike-Fahrer soll lieber absteigen und den restlichen Weg ins Tal zu Fuß gehen.

Wer agil sein will, muss flexibel sein. Doch flexible Menschen sind nicht unbedingt agil. Du kannst flexibel sein und für nichts stehen. Wie ein Wimpel im Wind. Agil ist etwas anderes: Du weißt noch nicht genau, wohin es geht, bewegst Dich agil von Schritt zu Schritt zu einem Ziel, was sich über den Weg verändern kann (nicht x-beliebig flexibel). Du tastest Dich vor wie auf einem vereisten See. Ganz vorsichtig testest Du mit den Fußspitzen aus, ob Du den nächsten Schritt gehen kannst, ob die Eisfläche Dich hält.

Viele Menschen werfen die Worte „agil“, „flexibel“ und auch „spontan“ in einen sprachlichen Topf. Für mich sind Worte wichtig und ich bin immer auf der Suche nach dem besten Wort, das eine Situation oder ein Gefühl beschreibt. Vor meinem kleinen Abenteuer in die agile Welt sah ich auch keinen großen Unterschied zwischen den Worten. Aber jetzt verstehe ich so langsam die Feinheiten der Begriffe. Wer agil ist, muss flexibel sein. Wer flexibel ist, ist allerdings noch lange nicht agil.

Frag doch beim nächsten Mal nach, was Dein Gegenüber unter „agil“ versteht. Daraus ergibt sich bestimmt eine interessante Unterhaltung.