Scotty from Marketing vs. It-won't-be-easy-with-Albanese
Hier in Australien sind am 21. Mai Parlamentswahlen. Zur Wahl stehen zwei ältere Herren: einer, den niemand mag und traut und ein anderer, den niemand kennt und der für nichts steht. Was beide vereint, ist das Vermeiden von wirklich heiklen Themen wie Klimawandel oder das gespannte politische und finanzielle Verhältnis zu China.
Der auch körperlich alles überragende Platzhirsch ist Scott Morrison von der Liberal Party (so eine Art CDU), den man gerne „Scotty from Marketing“ nennt. Sein Herausforderer ist Anthony Albanese von der Labour Party (in etwa eine SPD in den 90er-Jahren).
Keiner weiß, was Albanese will (und er scheinbar auch nicht)
„Albo“ ist politisch schon lange dabei, trotzdem ist er ein unbeschriebenes Blatt, ein „clean skin“. Das ist überraschend, denn in Australien leben ja nicht so viele Menschen und jeder kennt jeden. Sind ja alle „Mates“. Wie kann das sein, dass ihn niemand kennt? Vielleicht ist Albanese ja eine Art Peer Steinbrück, nur ohne Klartext und harte Kante.
Wie auch immer, Albo fiel vor drei Jahren geradezu in die erste Reihe als Bill Shorten, der wenig charismatische Linksausleger der Labour Party, die letzten Wahlen sehr überraschend in der letzten Runde gegen Rocky Braveheart Morrison verlor.
Damals verzockte sich Shorten offenbar mit Aussagen zum Klimawandel. Shorten hatte doch tatsächlich ausgesprochen, was jeder denkt, aber möglichst ignoriert: Australien muss sich dem Klimawandel endlich stellen und viel stärker als bisher reagieren, sich auf die Auswirkungen einstellen, etwas tun.
Das heiße Eisen Klimawandel
Dazu muss man wissen, dass der Klimawandel in Australien nur draußen stattfindet: lodernde Buschfeuer, riesige Überschwemmungen, Hurrikans, Dürre, Ausgrauen des Great Barrier Reef. Drinnen, im Parlament, ist das kein großes Thema. Niemand will sich politisch so verbrennen, wie es Bill Shorten gelang. Denn der sprach nicht nur Wahrheiten aus, er zog sich damit auch den Hass der lobbystarken Mining-Industrie zu. Und ohne die geht gar nichts, so scheint es.
Denn wer in Australien Mining infrage stellt, der greift sofort den australischen Wohlstand an. Australien hat sich über die letzten Jahrzehnte nur auf den Ertrag für Kohle, Eisenerze und eine Menge anderer Rohstoffe verlassen und sonst alles andere abgewickelt. Kaum zu glauben, dass in Australien mal so etwas wie Autos produziert wurden. Da ist es doch viel einfacher, Löcher in die rote Erde zu bohren und mit riesigen Baggern alles in die Züge und Container nach China zu kippen. Kurzum: Shorten wurde einen Kopf kleiner gemacht, verlor und Albo wurde ins Rennen geworfen.
Anthony Albanese konnte in den letzten Jahren als Oppositionsführer nicht medienwirksam glänzen, weil sich auch Australien wie überall im Krisenmodus befand. Zwar trampelte Morrison wie ein betrunkenes Nashorn in jeden Fetttümpel (trinkt auf Hawaii Cocktails mit Papierschirmchen, während in Australien die Hälfte des Landes abbrennt; zeigt wenig Impulse in der COVID-Krise, lässt die Premierminister ins offene Messer laufen, usw.), doch Albanese entschied sich, die Regierung bei den wichtigen Entscheidungen in der COVID-Zeit nicht zu stark zu kritisieren, um nicht noch mehr Verunsicherung hereinzubringen. Das ist ehrenwert, aber in der Politik und in einer von Murdoch dominierten Medienmonokultur fällt ihm das jetzt natürlich auf die Füße.
Lieber auf ein Bier mit Albanese
Ich mag Albanese. Er ist in einfacheren Verhältnissen aufgewachsen und er wirkt weitaus authentischer als Morrison, der das typische Stereotyp eines schleimigen Machtpolitikers verkörpert. Ihn sieht man jeden Tag medienwirksam mit einem gelben oder orangefarbenen Bauarbeiterhelm, wie er sich etwas erklären lässt. Er wirft Cricketbälle, schießt gegen Rugbyeier, schüttelt die ganze Zeit die Hände von Menschen, die es manchmal gar nicht wollen.
Das muss man ihm lassen: ScoMo versteht perfekt die Macht der Bilder. Dann ist es auch egal, was er sagt. Er spricht gerne über seine Erfolge. Wenn mal etwas schiefläuft, dann ist das „not my problem“. Seine Stärke ist die Geschmeidigkeit, mit der er sich aus jeder Lage herauswindet. Und zur Not beruft sich der gläubige Pentecostal-Christ auch gerne mal auf die letzte Instanz, so nach dem Motto: Only Jesus has the power to shift the climate. Da muss man sich doch nicht anstrengen.
So einen wie Morrison gibt es überall
So einen wie Scott Morrison gibt es in jeder Gruppe: vollgepumpt mit Selbstbewusstsein und Sendungsbedürfnis. Immer sind die anderen Schuld und wenn sie in ihrem Ego besonders gepiekst werden, dann ziehen sie dich mit beiden Armen in die sprichwörtlichee Schweinekampfarena.
Zwei Wochen vor den Wahlen befinden wir uns in dieser Arena. Leider ist auch die Medienlandschaft in Australien eine Art Schweinearena, in der nur die lauten und schrillen Themen Gehör finden. Es gibt keine Diskussionen über die Zukunft Australiens, keine Vision, keine Pläne. Stattdessen versuchen die Journalisten insbesondere Albanese mit „gotcha“-Fragen bloßzustellen.
Gotcha! Wer Fakten nicht weiß, kann das Land nicht führen?
Journalisten konzentrieren sich derzeit nur noch auf Trivial Pursuit-Fragen im politischen Pub-Quiz, dass hier Got’cha (I got you - Ich habe Dich enttarnt) heißt. Gotcha, gleich am ersten Kampagnentag: Herr Albanese, wie hoch ist die Cash-Rate der RBA? Albanese wusste es nicht genau (damals 0.1, seit ein paar Tagen 0.35). Riesenwirbel und Wasser auf die Mühlen von Morrison, dessen Wahlprogramm ungefähr so lautet: „Wählt mich, weil Albanese nichts von Wirtschaft versteht.“
Das Wahlprogramm von Albanese ist auch nicht besser: „Ihr könnt Morrison nicht trauen. Aber mir (auch wenn immer noch niemand weiß, wofür ich stehe).“ Ist das nicht eher ein Wahlmotto? Würde man hoffen. Aber ein so detailliertes Wahlprogramm, wie ich es von deutschen Parteien kenne, würde hier auch niemanden interessieren, dann lieber im Kleinklein verfangen. Und deswegen stellen die Journalisten bevorzugt Gotcha-Fragen für Siebtklässler: Wie hoch ist die Arbeitslosigkeit? Wie viele Segel hat die Sydney Opera? Wie heißt der Präsident von Chile? Ja, DAS muss man aber wissen als australischer Prime Minister.
Klar, es gibt Unterschiede. Morrison möchte einfach so weitermachen wie bisher. Albanese will mehr Geld in die Krankenhäuser und in die Kinderbetreuung stecken. Beide versprechen eine Menge Hilfen und Geld. Wenn einer etwas verspricht, dann zieht der andere mit ein paar mehr Millionen nach. Ob das die Australier, deren Pflicht es zu wählen ist, beeindruckt? Ich fürchte schon, denn meine Beobachtung ist, dass die australische Gesellschaft noch in den fetten Jahren schwelgt und es sich dabei ziemlich bequem gemacht hat. Wer mehr bietet, bekommt den Zuschlag.
Bekommt Abanese genügend Luft im Schwitzkasten?l
Es gäbe da noch über viele Aspekte zu berichten (und ich merke gerade, dass es mir viel Spaß macht, das hier aufzudröseln), aber wie werden die Wahlen ausgehen? Momentan führt erstaunlicherweise der unbekannte Albanese in den Umfragen, weil Morrison einfach zu unbeliebt ist. Ich glaube aber, dass es Albanese trotzdem nicht schaffen wird, weil Morrison ihn immer tiefer in seine Grube ziehen und in einen kräftigen Schwitzkasten nehmen wird. Oder Albanese stellt sich weiterhin eher ungeschickt bei den vielen lästigen Gotcha-Fragen an.
Doch selbst, wenn Morrison Premierminister bleibt, ist seine Halbwertzeit eher kurz. Ich glaube, er wird zügig parteiintern gestürzt und durch Josh Frydenberg, den in der Partei viel beliebteren Treasurer, ersetzt. Der läuft sich schon warm, distanziert sich zunehmends von Morrison. Schon jetzt will Frydenberg angeblich nicht, dass Morrison ihn in seinem Wahlkreis begleitet, weil das Frydenbergs Chancen verringern könnte. Das sagt schon eine Menge aus.
Wer das Rennen macht, verliert (und schuld sind die anderen)
Und wenn es Albanese tatsächlich schafft? Dann wird er nicht lange PM sein. Denn die Inflation schießt auch in Australien hoch und die RBA wird weiter die Cash-Rate erhöhen. Albo wird kein Geld für die vielen Versprechungen mehr haben und Morrison (oder Frydenberg), aber sicherlich die Murdoch-Sprachrohre, werden systematisch daraufhin arbeiten, dass Albanese Finanzen nicht kann und das Land ruiniert.
Letzlich ist es egal, wer an die Macht kommt oder bleibt. Mit beiden wird Australien einfach nur weiter verwaltet. Kein Wunder, dass die Australier so politikverdrossen sind und sich lieber dem ungehemmten Konsum hingeben.
Es ist weit und breit kein australischer Obama-Hilf in Sicht. Aber weckt mich, wenn es jemand wie Penny Wong schafft. Sie ist in Malaysien geboren, ist in Australien aufgewachsen, erfahren, ausgesprochen klar, clever, queer, meinungsstark und resolut. Sollte sie plötzlich noch prominenter in die erste Reihe aufsteigen, dann bewegt sich etwas in der australischen Politik und Gesellschaft, in der es immer noch schick ist, wenn sich ausschließlich männliche Politiker als „Mates“ volksnah mit einem Bier im Pub präsentieren. Na dann mal Prost, Albo und ScoMo. Last call for you guys.
Aktualisierung (21.5.): Australien hat gewählt.
No more ScoMo! Labour hat mit Albanese mit derzeit 71 zu 50 Sitze der Liberals gewonnen. Für die absolute Mehrheit werden aber 76 Sitze benötigt. Albanese wird also eine Minderheitsregierung führen. Noch ist alles frisch.
Ich bin gespannt, ob es eine Zusammenarbeit mit den Grünen gibt, die landesweit etwa 12 Prozent geschafft haben. Schließlich hat Albanese schon vorher darüber gesprochen, dass er einen Kurswechsel in der Klimapolitik plant. Ob er sich mit den recht dogmatisch denkenden Grünen einigt? Das könnte das Land tatsächlich wirklich verändern - oder schnell zu Spaltungen innerhalb der Partei führen.Möglicherweise ist das dann schon die Zeit der Penny Wong, die immerhin 2007 bis 2010 die Ministerin für Klimawandel und Wasser war und 2007 das Kyoto-Protokoll unterschrieb. Ich gehe davon aus, dass Penny Wong Außenminister wird. Das wird interessant, wie sie mit den aktuellen Themen China, Ukraine, Solomon Islands, etc. umgeht.