Die Illusion der Erklärungstiefe

Journalisten haben immer mit dem „gefährlichen Halbwissen“ zu kämpfen. Manche überspielen es mit einer übertriebener Arroganz, andere mit versuchen es mit eingestreuten Wissenshappen zu kaschieren. Selbst als Fachjournalist gibt es ein Wissensdelta, das zumindest die tiefen Experten sofort aufspüren. Andere Journalisten arbeiten fleißig daran, das Halbwissen in ein Dreiviertelwissen umzuwandeln. Dabei bleibt immer dasselbe Gefühl: Wann werde ich als Scharlatan enttarnt. Ich hatte schon vorher über das „Imposture-Syndrome“ geschrieben.

Heute habe ich im Radio einem australischen Politiker zugehört, der keine der Fragen, auch nicht die Nachfragen der Radiomoderatorin konkret geantwortet hat. So wie ein Pudding, den man nicht an die Wand nageln kann. Die Moderatorin, eine ältere, sehr erfahrene Journalistin, blieb dran. Aber der Politiker war sehr geschmeidig und ließ sich nicht auf Details oder irgendwelche Aussagen ein. Für mich ist das immer das Signal, dass er nicht mit offenen Karten spielt und etwas verbirgt. Möglicherweise weiß er es auch nicht und kaschiert gerade sein gefährliches Halbwissen. So interessant dieses journalistische Katz-und-Maus-Spiel ist, letztlich ist das Zuhören eine reine Lebenszeitverschwendung.

Expertenwissen: Was steckt dahinter – und tiefer?

Experten haben ja gerade Hochkonjunktur. Wir haben Experten zu allen Themen. Doch was steckt dahinter? Nur ein Halbwissen oder mehr? Um das herauszufinden, müssen wir die „Illusion der Erklärungstiefe“ knacken. Wenn Du selbst ein Experte für ein Thema bist, dann frage Dich, ob Du auch tieferliegende Konzepte und Zusammenhänge schlüssig (und vielleicht belegt) erklären kannst. Idealerweise schaffst Du drei immer tiefer gehende Nachfragen. Klar, nach unten verästelt sich das Wissen. Aber ein echter Experte, der sich wirklich auskennt, kramt da eine Menge Wissen nach oben oder – und das ist auch ein gutes Zeichen – gibt ehrlich zu, dass er oder sie es gerade nicht weiß.

Im Gegensatz dazu solltest Du skeptisch werden, wenn Dein Gesprächspartner alles wie aus der Pistole geschossen beantwortet. Denn vielleicht ist es nur eine zurechtgelegte Plattitüde und gar nicht die Antwort auf Deine Frage. Um sicherzugehen, kannst Du nach einem Beispiel fragen oder herausfinden, worauf sich die Aussagen beziehen: Woher nimmst Du Deine Informationen, was ist Deine Basis? Du kannst Dir auch einen Aspekt herausnehmen und den genauer erklären lassen: Bitte erkläre mir diesen Aspekt tiefer, wie verhält es sich genau mit x, y und z. Ich habe schon viele ziemlich selbstbewusste Typen zähneknirschend den Raum verlassen gesehen.

Journalisten fragen Politiker gerne nach genauen Zahlen. Damit wollen sie zeigen, dass die Politiker (nicht) nah heran am Thema sind. In unserer kleinen Übung brauchen wir das nicht zu tun. Es reicht zu sehen oder zu hören, wann Dein Gegenüber ins Schwimmen gerät. Eiern die sich durch (nicht gut) oder sagen sie, dass sie es nicht wissen (besser). Und wie beantworten sie die Nachfrage: Wo müsste man nachfragen oder recherchieren, um es herauszufinden? Hinweis: „Tante Google“ reicht als Antwort nicht aus.