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Persönliche Notizen aus Digitalien.

Reiner Gärtner - Newcastle, Australien

Buchnotiz - Indistractible von Nir Eyal

Es gibt Bücher, die neue Themenfelder erschließen, die sich nur in kurzen Leseetappen erobern lassen, weil alles neu und zunächst unfassbar ist. Und dann gibt es Bücher, die wie freundliche Bekannte daherkommen. Diese Bücher erinnern uns daran, was wir schon immer wussten, was uns interessiert, aber auch immer wieder nach hinten schieben. Nichts blieb kleben, und deswegen müssen wir solche Bücher manchmal erneut lesen, obwohl bereits alles bekannt ist.. Ein Beispiel dafür ist “Indestructible” von Nir Eyal.

Du musst nichts müssen ...

Viele versinken in ihren To-Do-Listen, können nicht schlafen, weil alles im Kopf surrt, noch so viel zu tun ist. Und überhaupt: Nie hört das auf, nie ist man fertig. Ich muss das, ich muss jenes; wenn ich das geschafft habe, dann bin ich noch lange nicht fertig, aber wenigstens einen Schritt näher zum Fertig.

Aber was wäre, wenn es dieses „Fertig“ gar nicht gibt? Weil sofort wie in einem mit Wasser gefüllten Schlammloch die sandigen Ränder immer wieder einstürzen, das Fertigmachen gar nicht lohnenswert ist? Und was „musst“ Du überhaupt? Klar, wir wollen uns gut fühlen. Und dazu gehört das Fertigstellen, das Abhaken. Aber was davon musst Du wirklich, wer verlangt das von Dir? Dein Boss oder Du?

No regrets?

Das Bedauern ist in uns schon in jungen Jahren angelegt. Doch die Bedeutung ändert sich über die Jahre. In jungen Jahren bedauern wir, dass wir etwas getan oder nicht getan haben. Das wirkt nicht lange und schon ist der Schwamm der Zeit drübergewischt und wir haben es vergessen, weiter geht es. Junge Menschen sagen „no regrets“. Das klingt überzeugend, aber niemand scheint sich daranzuhalten.

Mit zunehmendem Alter bekommt das Bedauern einen neuen Geschmack und wird zum Bereuen: Über die Jahre verwischt sich das Nachsinnen einzelner Entscheidungen zu einer zähen Masse. Dann geht es gar nicht mehr um tatsächliche Ereignisse und Entscheidungen, sondern um Richtungen, die man eingeschlagen hat – oder eben nicht. „Hätte ich doch früher dies oder jenes gemacht.“: mehr gespart, gesünder gegessen, den Job angenommen oder den Job abgelehnt; den Menschen umworben oder abgestoßen; hier geblieben oder wäre ich besser weggegangen.

Buchnotiz: 'Kampfschrift gegen den Lärm' von Theodor Lessing

Ich liebe es, in der Projekt Gutenberg Bibliothek zu stöbern und literarische Schätze aus vergangenen Epochen zu entdecken. Kürzlich bin ich auf ein faszinierendes Zeitdokument aus dem Jahr 1908 gestoßen, verfasst von dem Schriftsteller und Philosophen Theodor Lessing: „Der Lärm – eine Kampfschrift gegen die Geräusche unseres Lebens“.

„Kampfschrift“ klingt zunächst einmal recht kriegerisch. Wer hätte jedoch damals, nur sechs Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, ahnen können, welche Schwere dieser Begriff später einmal tragen würde. Heute würde man Lessings Werk wohl eher als Ausdruck bürgerlichen Unmuts bezeichnen. Und genau so wirkt es auch. Dies wird bereits im ersten Satz klar: „Ungeheuerliche Unruhe, grauenhafte Lautheit lastet auf allem Erdenleben.“ Ein düsterer Anfang, der sich nicht mehr aufhellen wird.

Fake it and you will never make it

Im Englischen gibt es den Ausdruck „fake it till you make it“. In diesem Lebensansatz geht es darum, dass man am Anfang einfach so tut, als könnte man es. Und wenn man die Gelegenheit hat, es länger zu tun, dann kann man es wahrscheinlich irgendwann wirklich.

In Zeiten der künstlichen Intelligenz kommen viele in die Lage, einfach die künstliche Intelligenz die Arbeit machen zu lassen, um damit einen Schritt weiter in ihrer Arbeit zu kommen. Allerdings gilt dieser englische Satz nun nicht mehr oder müsste anders geschrieben werden: „fake it and you will never make it“. Der Grund ist, dass wir uns dann viel zu sehr auf die künstliche Intelligenz, die ja immer alles besser weiß, verlassen und es nicht mehr selbst können. Unsere Fähigkeiten erschlaffen. Wir verlieren unser Menschsein und werden zu „frittierten Auberginen“.

Lernen von Meinungsverschiedenheiten

Learn how to learn from those you disagree or even offend you. See if you can find the truth in what they believe.

Das ist ein Satz aus dem wunderbaren Buch „Excellent Advice for Living“ von Kevin Kelly. Ich werde das Buch später mal genauer besprechen, aber zunächst habe ich mir vorgenommen, die vielen weisen Vignetten aus dem Buch als Impulse zum Weiterdenken und Weiterschreiben zu nehmen. Außerdem will ich, in Anlehnung an meinen Beitrag „Menschsein (01): Schreibschrift üben“ einen Großteil meiner Notizen in „Langform“ per Hand schreiben. Dazu benutze ich Goodnotes auf meinem iPad, konvertiere das Handgeschriebene in Text und veröffentliche es so wie ich es geschrieben haben (okay, groben Schwachsinn streiche ich schon heraus, aber ansonsten lasse ich es. Die Texte sind ja sehr langsam per Hand entstanden). Den ersten, handgeschriebenen Absatz findest du hier.

Menschsein (01) - Schreibschrift üben

Neulich habe ich in einer dieser Kisten unter unserem Haus einen Aktenordner mit alten Dokumenten gesucht. Dabei bin ich auf mehrere Kisten gestoßen, in denen viele schwarze Moleskine-Notizbücher in verschiedenen Größen lagen. In ihnen steckt mein analoges zweites Gehirn aus den Jahren 1997 bis etwa 2015. In diesen Jahren habe ich sehr viel Handschriftliches hinterlassen.

Damals saß ich stundenlang in Cafés und habe Menschen beobachtet und für mich interessante Dinge aufgeschrieben. Ich habe tief in meiner Seele gekramt, um zu verstehen, was mich ausmacht, was mir fehlt und was ich will - wahrscheinlich oft zu viel davon. Ich habe dort Mitschriften von Meetings hinterlassen und natürlich viele Listen geführt über die Dinge, die ich in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten erledigen möchte: Wie viel Geld kommt herein oder fehlt noch? All das.

Die vergessene Präsentation

Kürzlich klingelte mein Handy. Es war eine unterdrückte Nummer, auf dem Display stand nur “No Caller ID”. Etwas unwirrsch beantwortete ich den Anruf, denn normalerweise melden sich unter unterdrückten Nummern nur Roboterstimmen, die behaupten, ich hätte etwas nicht bezahlt und ich hätte nun große Probleme, weil ich einen Rückstand bei der Steuerbehörde habe. Oder es sind gelangweilte Telemarketer aus der Telekommunikationsbranche, die mir etwas aufschwatzen wollen.

Am anderen Ende der Leitung war eine Frau, deren Namen ich nicht richtig verstand. Sie sprach zu schnell und im Hintergrund lärmte eine für mein Ohr recht unangenehme Geräuschkulisse; es klang fast so, als säße sie mitten in der Küche bei McDonald’s mit klappernden Friteusenkörben und dem üblichen Piepkonzert der vielen Salamander, Mikrowellen und anderen Fetterhitzer. Ich wollte schon auflegen, gab ihr dann aber doch eine Chance.

Heute schon gehampelt?

Wie sich die Welt doch verändert hat. Früher hieß es einfach “Hampelmann”. Wenn man mit beiden Füßen nebeneinander lossprang, dann die Beine lang auseinanderspreizte und gleichzeitig die Arme, die vor dem Sprung lang neben dem Körper baumelten, zur Seite schleuderte, um sie dann oben über dem Kopf zu einem Klatschen zu bringen. Und idealerweise landeten zeitgleich die Beine und Füße wieder wohlsortiert in ihrer Ausgangsstellung. Ein klassischer Hampelmann, oder im Englischen auch „Jumping Jack“ eben. Aber darf man das überhaupt noch sagen? Wie heißt das mittlerweile in Zeiten des Genderns? „Hampelmänner, Hampelfrauen und LBQT-Hampler? Oder Hampelspringende? Einigen wir uns einfach auf „Hampler“, denn an der Bewegung ändert sich ja nichts.

KI - mein letzter Pieps

Das ist das letzte Mal, dass ich über Künstliche Intelligenz schreibe. Versprochen. Wenn ihr euch meine letzten Einträge anseht, werdet ihr feststellen, dass ich scheinbar kein anderes Thema mehr kenne als die Künstliche Intelligenz. Das ist bedenklich. Sogar meine Familie und alle, die dieses Thema nur am Rande erwähnen, müssen meine endlosen Monologe über die vielen Veränderungen, die die Künstliche Intelligenz in der Zukunft mit sich bringen wird, ertragen. Es ist schrecklich; ich kann mir kaum selbst zuhören.