Vergiss die Backspace-Taste

Vor etwa zwölf Jahren startete ich ein Experiment: Ich hatte bisher recht schnell mit etwa drei bis fünf Fingern geschrieben, musste aber immer auf die Tastatur und auf den Bildschirm schauen, um das Ergebnis zu sehen und gleich zu korrigieren. Mein Ziel war es, endlich auf ein Zehnfingersystem umzustellen. Allerdings nicht auf das antiquierte QWERTZ, sondern auf NEO, was damals noch recht neu war. Die Idee hinter dem NEO- Tastaturlayout: Die Finger sollen so wenig Weg auf der Tastatur zurücklegen und damit auch die Handgelenke schonen.

Ich hatte immer mal Sehnenscheidenentzündungen, insofern sah ich die Umstellung auf NEO als große Investition in die Zukunft. Gesagt, getan. Ich benötigte etwa drei Monate für die Umstellung. Und das war hart: Denn zunächst ging natürlich alles viel langsamer und beschwerlicher. Zum Glück rauschten wir gerade in die Weltwirtschaftskrise und mein zweiter Sohn wurde gerade geboren. Ich hatte also sowieso nicht zu viel zum Arbeiten und tippte mich von einem Fehler zum anderen.

Über die Jahre schrieb ich immer mehr in NEO. Doch immer wieder musste ich zum alten System zurück. Manchmal musste ich auf Tastaturen schreiben, deren angeschlossene Computer NEO nicht unterstützten. Da ich viel mit Shortcuts arbeitete, die ich in NEO irgendwie nicht aktivieren konnte, benutzte ich wieder mehr QWERTZ. Im ersten Dreivierteljahr hier in Australien hatte ich nur mein iPad, das kein NEO nicht als Tastaturlayout kann. Ich hatte NEO fast vergessen und war dementsprechend wieder in meinem alten drei-bis-viel-Finger-Rhythmus unterwegs.

Während des ersten Lockdowns zog ich zum Arbeiten in unseren Gartenschuppen. Das WIFI-Signal reicht gerade dorthin und auf dem grobschlächtigen Tisch steht ein Monitor, eine mechanische Tastatur und ein Raspberry-Pi. Im Schuppen mache ich nichts anderes als schreiben. Auf dem Pi ist nur VS Code installiert, mit dem ich meine Texte in Markdown schreibe – und in NEO. Kürzlich habe ich mir einen alten „refurbished“ Thinkpad für 180 Dollar gekauft, auf dem ich Ubuntu installiert habe.

Auch auf dem Thinkpad tippe ich auf der wunderbaren Tastatur (genau deswegen habe ich mir einen alten ThinkPad x220 gekauft) mit NEO. In meinem anderen Büro im Haus steht mein Windows-Rechner, der bisher mein Hauptrechner war. Da Windows und NEO nicht richtig zusammenspielen, benutze ich den Computer nur noch für Videokonferenzen und Arbeiten, die nicht besonders schreibintensiv sind. Ansonsten schreibe ich gerade fast alle Texte auf meinem Thinkpad oder auf meinem Raspberry Pi im Schuppen.

Das war jetzt eine lange Einleitung zum Titel. Damit ich hier aber doch noch die Kurve bekomme: Ich habe mich jetzt wieder an NEO gewöhnt und mache nur noch wenige Fehler, die ich blind korrigiere. Ich spüre, wenn ich eine Taste nicht richtig gedrückt habe. Ich tippe die Backspace-Taste und korrigiere. Das ist eine ärgerliche Angewohnheit, denn ich komme dadurch auch aus dem Schreibfluss.

Meistens ist es nur ein Tastenvertipper, eine falsche Reihenfolge der Buchstaben, die sich rasant bereinigen lässt, wenn ich mit einer Rechtschreibprüfung – Teil meiner Definition of Done – darüberfahre. Deswegen habe ich mir nur vorgenommen, dass ich die Rechtschreibfehler in Kauf nehme und nicht zurückschaue. Die Backspace-Taste ist nicht direkt verboten, aber ich will sie nur noch in den äußersten Notfällen benutzen. Wenn so richtig etwas daneben geht, zum Beispiel. Seit ich meiner Tippkunst und mir vertraue und mich mehr auf das Tippen konzentriere, bin ich schneller und auch akkurater auf der Tastatur.

Und so sollten wir auch im Leben die Backspace-Taste vergessen. Wir können nicht mehr zurück, nichts mehr korrigieren. Vielleicht sollten wir damit leben, dass mal etwas nicht perfekt ist und einfach weitermachen, weil das Leben perfekt ist so wie es ist und kleine Mängel das Leben nicht so beeinflussen wie das andere und wir selbst uns einreden. Deswegen: einfach weiterschreiben und weiterleben. Ganz ohne Backspace-Taste.