Aufhören können
„Wir brauchen eine neue Fehlerkultur, in der Fehler nicht verurteilt, sondern willkommen sind. Wir wollen eine Kultur, in der das Zugeben von Fehlern nicht als Schwäche, sondern als Stärke wahrgenommen wird.“ Das höre ich immer wieder. Aber wie weit sind wir wirklich damit gekommen? Wir sind ja oft noch nicht einmal in der Lage mit unseren eigenen Fehlern klarzukommen. Dabei sind Fehler nicht schlimm. Sie sind vorwärtsgerichtete Signale für eine bessere Zukunft. So nach dem Motto: Beim nächsten Mal machen wir das aber anders.
Viel schwieriger ist der nächste Schritt, die nächsthöhere Version und oft eine Konsequenz des Fehlermachens: das Aufhören. Aus Fehlern lernen wir. Einfache Sache. Fehler helfen uns beim Optimieren, beim Besserwerden. Was ist aber, wenn sich das Optimieren überhaupt nicht lohnt, weil dabei höchstens eine nutzlose Innovation, aber kein Fortschritt herausspringt? Dann müssten wir sagen: „Das reicht. Wir lassen es jetzt.“ Und trotzdem machen wir weiter. Immer weiter. Warum eigentlich?
Fehler kann man mal machen. Schließlich sind wir Menschen, keine Maschinen. Wenn wir aber aufhören, loslassen, etwas unfertig stehen lassen, einfach weggehen, dann fühlt sich das an wie eine Niederlage. Das erhoffte Potenzial wurde nicht erreicht, das Vorhaben war zu riskant, die Arbeit überschätzt, das Glück nicht auf unserer Seite. Oder noch schlimmer: Wir waren zu faul, fahrig und einfach zu schlecht. Aber aufhören? Niemals. Wir haben doch schon so viel Zeit reingesteckt, die woanders - oft der Familie - entgangen ist. Wenn jetzt nichts dabei herauskommt, dann ist das peinlich und wäre eine Energie- und Lebenszeitverschwendung, denken viele. Dabei ist die Zeit ist weg. So oder so.
Was denken nur die Menschen, wenn ich einfach so aufhöre? Ich fürchte, sie denken nicht viel. Denn, und das soll gar nicht zynisch klingen - die meisten interessieren sie sich gar nicht so richtig für Deine Niederlagen. Sie bekommen es noch nicht einmal mit. Es schmerzt nur in Deinem Bauch, in Deinem Kopf. Und wenn das so ist, dass andere Dein Loslassen noch nicht einmal mitbekommen (selbst, wenn Du es im Livestream twitterst oder instagramst), dann ist das Loslassen und Aufhören viel einfacher. Weil es nur um dich geht.
Fehler machen ist so einfach. Das passiert schnell, dafür brauchst dich noch nicht einmal anstrengen. Und selbst wenn Du Dich anstrengst und ein Fehler passiert (oder sagen wir, etwas trifft nicht so ein wie vorgestellt, das ist ja noch lange kein Fehler), dann ist die Erkenntnis umso wertvoller.
Aufhören ist ein anderes Kaliber. Es ist viel schwieriger, weil nach dem Aufhören erst einmal nichts kommt. Schnipp. Und dann die Leere. Viele können das nicht ertragen. Sie hören erst mit etwas auf, wenn sie schon vor dem Aufhören wissen, womit sie das Aufgehörte ersetzen können. Doch Vorsicht: So lange wir diese Alternative nicht kennen, hören wir kleinen Angsthasen erst recht nicht auf.
Tief im Bauch wissen wir, dass wir nicht mehr so weitermachen können wie bisher. Da geht es nicht nur um den Klimawandel, Kinderarbeit oder das Rentensystem, sondern um ganz persönliche Entscheidungen in der Arbeit, Familie und überhaupt. Wie kommen wir aber aus dieser Sache heraus? Wir brauchen eine Kultur des Aufhörens. Harald Welzer schreibt in seinem Buch „Nachruf auf mich selbst: Die Kultur des Aufhörens“, dass man das Aufhören können muss. Das bedeutet, dass wir das Aufhören und damit das Entscheiden üben müssen. Weil die Entscheidung so anstrengend ist, schieben wir sie lieber in die Zukunft. Ach, heute fühle ich mich nicht gut, ich denke morgen darüber nach. Oder nächstes Jahr. Besser nie.
Aufhören ist aber auch einfach. Man muss nur loslassen. Bald fragt man sich, warum das, was man nicht mehr hat, so wichtig war. Wir sollten dankbar sein, es gehabt zu haben. Die Kohlekraftwerke haben uns dorthin gebracht, wo wir nun sind. Das kann man auch feiern und nicht alles verteufeln, nur weil wir Kohlekraftwerke nun nicht mehr wollen. Ich wollte mal ein Videoproduzent sein. Dazu habe ich mir eine gute Kamera gekauft, mich tief in Final Cut Pro eingearbeitet. Aber ich habe es nicht durchgezogen, weil tief in mir etwas war, das sich gegen diesen Weg sträubte. Irgendwann habe ich mir gesagt, dass ich damit aufhören muss. Es kostete einfach zu viel Zeit für nichts.
Ich bin mir sicher, dass wir aus dem Aufhören noch mehr lernen als aus Fehlern. Die Erkenntnis aus dem Aufhören ist einfach tiefer. Sie hilft uns, Dinge grundlegend anders zu sehen und gar nicht erst Projekte zu starten, die nur vom Ego getrieben sind und nichts mit uns zu tun haben.
Die Kür ist das Aufhören ohne Ersatz. Übrig bleibt einfach nur Zeit zum „Nutzlosen. Wir knallen uns sowieso zu mit sinnlosen Sachen. Also, lass los.