Wie viel schaffst Du gleichzeitig?

Zu Beginn meiner Laufbahn war ich ein begeisterter Multitasker (damals war alles „Multi“, zum Beispiel „Multimedia“ und „Multikulti“). Die Computer waren langsam und während des Hochfahrens konnte man locker in die Teeküche laufen, ein Schwätzchen halten, danach noch einkaufen gehen und nach der Rückkehr war der Computer – damals sagten wir noch „Rechner“ endlich gestartet.

Die Prozessoren der Computer waren schlapp und sie konnten nicht besonders viel gleichzeitig erledigen. Es gab auch keine besonders rechenintensive Programme, die das erforderten. Aber ich konnte das. Ich konnte laut Musik hören, mich mit Kollegen unterhalten und gleichzeitig einen Artikel schreiben. Ich konnte Äpfel jonglieren, ein Glas Wasser trinken, Gummibärchen essen und einen Text redigieren. Ich konnte das alles gleichzeitig. Und ich war stolz darauf. Ich weiß nicht, ob das Ergebnis tatsächlich etwas taugte. Wenn ich das so schreibe und als älteres Selbst lese, dann kommen mir schon ein paar Bedenken.

Anfang der 90er-Jahre war Multitasking eine wichtige und gefragte Eigenschaft. Wer mehrere Dinge gleichzeitig jongliert, ist schnell und flexibel im Kopf und im Handeln. Erst jetzt weiß ich, dass sich schon damals Menschen mit den Folgen des Multitaskings, des „Context Switching“ befasst haben. Es war der Computerwissenschaftler und Psychologe Gerald Weinberg, der bereits 1992 herausfand, dass das ständige Wechseln zwischen Projekten und Aufgaben Verschnitt bringt: etwa 20 Prozent pro Projekt.

Noch immer gilt diese Beobachtung als gültig. Was steckt dahinter? Angenommen, Du arbeitest nur an einem Projekt, steckst tief im Thema und weißt genau, was als Nächstes gemacht werden muss. Dann kommt Dein Chef mit einer dringenden Aufgabe zu einem anderen Thema, in das Du Dich erst hineinarbeiten musst. Du musst Dich also erst einmal auf das neue Thema einstellen, Dich sortieren, kalibrieren. Und weil Du eben keine Maschine bist, dauert das eine Weile.

Vielleicht kennst Du das mit den Unterbrechungen: Du denkst tief über etwas nach. Dann kommt Deine dreijährige Tochter ins Büro und zeigt ihr gemaltes Bild. Du schaust zu ihr herüber, versuchst den zuletzt gedachten Gedanken zu halten und Dich gleichzeitig auf das Hier und Jetzt mit Deiner Tochter zu konzentrieren. Beides klappt natürlich nicht (weil wir keine Multitasker sind). Deine Tochter fühlt sich abgeschoben und der Gedanke ist weg.

Ich habe mal gelesen, dass es 23 Minuten dauert, um nach einer kurzen Unterbrechung wieder zurück in so eine tiefe Konzentrationsphase zu kommen. Das nehme ich gerne als Ausrede für mich, gar nicht erst mit dem Denken anzufangen, dann ich kann derzeit im Homeoffice nie länger als 20 Minuten im Schnitt ungestört etwas machen. Aber das ist ein anderes Thema. Ich weiß, dass das Ergebnis immer besser ist, wenn ich nur an einer Sache gearbeitet habe und nicht versuche, verschiedenes wie ein Ninja gleichzeitig abzuwehren. Denn dann verteidige ich mich nur noch gegen die „bösen Aufgaben“ und stecke weniger Konzentration und Enthusiasmus in das Ergebnis, mit dem ich dann schon selbst nicht mehr zufrieden bin.

Seit mindestens zehn Jahren habe ich mich daher zum Monotasker umerzogen. Ich arbeite in Zeitblöcken von zwei Stunden, dazwischen tickt ein Pomodoro-Timer. Dann beantworte ich weder das Telefon noch E-Mails. Das funktioniert in der Regel (wenn nicht gerade Homeschooling ist) einwandfrei. Doch wie viele Projekte von wie vielen Auftraggeber sollte ich annehmen? Hier komme ich immer wieder ins Straucheln. Wie viele Projekte sollte ich gleichzeitig annehmen?

Hier habe ich verschiedene Erfahrungen gemacht: Ich habe eine Weile Aufgaben aus verschiedenen Projekten nach deren Art gesammelt abgearbeitet. Etwa ein konzentrierter Schreibtag für verschiedene Beiträge, ein Telefonnachmittag für die Recherche und Abstimmung verschiedener Aufträge oder ein konzeptioneller Nachdenktag. Das hört sich gut und produktiv an, aber ich brauche die Abwechslung. Ich kann nur ein paar Stunden sehr konzentriert nachdenken, danach muss ich etwas Leichtes machen. Ich muss ab und zu den Denkraum verlassen, indem ich mich in einen anderen, physikalischen Raum oder gleich nach draußen begebe. Ich kann und will nicht die ganze Zeit sitzen, benötige Bewegung.

Ein großes, komplett die Zeit auffressendes Projekt ist lukrativ, für Selbstständige ist es aber auch gefährlich. Denn wenn das Projekt zu Ende ist, dann muss man erst einmal wieder neue Auftraggeber finden. Ich bin immer ganz gut mit etwa drei Projekten gleichzeitig gefahren. Oft stecken die Projekte ja in unterschiedlichen Projektphasen. Während ich auf Feedback warte, kann ich auch an einer Aufgabe in einem anderen Projekt arbeiten. Das ist irgendwie auch Multitasking, geht aber ganz gut. Wichtig ist, dass man ein gutes System hat, um die verschiedenen Aufgaben auch immer auf dem Radar zu haben. Ich benutze dazu seit Jahren schon ein eigenes Kanban-Board. Für meine eigenen Projekte benutze ich natürlich Scrum. Aber das würde hier zu weit führen, darüber schreibe ich vielleicht demnächst mal.